Darum glänzt Traben-Trarbach mit Jugendstil

Jugendstil? Da kommt den meisten zunächst Brüssel oder vielleicht Berlin in den Sinn. Aber auch Traben-Trarbach hat eine Reihe bemerkenswerter Gebäude dieser Epoche. Warum gibt es ausgerechnet an der Mosel diese Spektakel-Architektur?

Jugendstil, Traben-Trarbach, Villa Breucker

1904 nach den Plänen von Bruno Möhring errichtet: Die Villa Breucker.

Da bevölkern Trauben und Blätterornamente eine Fassade, dort schaut eine grimmige Fratze auf die Straße hinab. Hier Erker und Gesimse, dort Patrizierhäuser und moselländischer Fachwerkarchitektur. Für eine Kleinstadt in der Provinz hat Traben-Trarbach erstaunlich viele pompöse Gebäude.

Vor allem die extravaganten Jugendstil-Villen an der Promenade stechen heraus. Denn Baukunst dieser Art ist hierzulande eher in Metropolen wie Berlin anzutreffen oder in Industriezentren an Rhein und Ruhr. Die Spektakel-Architektur am Ufer der Mosel überrascht. 

Promenade mit Jugendstil

Aber tatsächlich zählt das beschauliche 6500 Einwohner-Städtchen sogar zu den Orten mit wichtiger Jugendstil-Architektur. Eben jener Baustil, der um die vorletzte Jahrhundertwende einer rasanten Industrialisierung verspielte Formen entgegensetzte.

Dabei waren florale Ornamente, geschwungene Linien und Tiere als Symbole der letzte Schrei. Inspiriert von der Natur, schufen ambitionierte Architekten extravagante Gesamtkunstwerke in dem neuen Stil. In den imposantesten Gebäuden dieser Zeit war von den Innenräumen bis zur Fassade einfach alles „Belle Époque”. 

Hotel Bellevue, Jugendstil-Element

Fassade vom Jugendstilhotel Bellevue

Wie kann es sein, dass man seinerzeit ausgerechnet an der Mosel so großzügig baute? Das lag vor allem am Riesling, der in die Kelche der Reichen und Mächtigen dieser Erde floss. Es ist das spannendste Kapitel in der Geschichte der Stadt.

Die ganze Welt kaufte Riesling aus Trarbach

Im 19. Jahrhundert hatte Traben-Trarbach einen Ruf wie Donnerhall. Die Millionärsdichte in dem Städtchen war hoch, denn der Moselwein hatte den Bewohnern im Laufe der Jahrzehnte ein Vermögen beschert.

Etliche Kellereien und Händler hatten in Traben-Trarbach ihren Sitz, um gewaltigen Fässer mit Bahn und Schiff in die Welt zu exportieren. Ob nun quer durchs Deutsche Reich, in die Niederlande oder bis nach Russland. Auch Skandinavier, Engländer und Amerikaner füllten sich ihre Keller mit Riesling von der Mosel.

Mosel, Traben, Lorettahaus

Das Lorettahaus in Traben

Ein gewichtiger Grund war die spezielle politische Situation. Denn als protestantische Enklave an der katholischen Mosel pflegte Traben-Trarbach beste geschäftliche Kontakte mit den Glaubensbrüdern in der Reichshauptstadt Berlin, in England und den Niederlanden.

Top Weinhandelsplatz im Kaiserreich

„1903 wurden von Traben-Trarbach 65.000 Fuder Wein weltweit verschickt”, informiert eine Ausstellung der Casino-Gesellschaft. „Aneinandergereiht würden sie die Strecke des Mosellaufs zwischen Traben-Trarbach und Cochem ergeben.” Ein Fuder entspricht circa 960 Litern. Das macht also 85 Millionen Flaschen Wein.

Traben-Trarbach schwang sich auf zu einem der größten Weinhandelsplätze im Deutschen Kaiserreich. Es wird sogar kolportiert, nur das Schwergewicht Bordeaux habe seinerzeit in Europa mehr umgeschlagen. Auf den Weinversteigerungen wurden Preise wie nie zuvor erzielt.

Alter Bahnhof, Traben

Alter Bahnhof in Traben, heute Touristen-Info

Der Riesling war flüssiges Gold, es entstand ein wohlhabendes Bürgertum und ein Bauboom begann. Ein prächtiger Bahnhof und das Trabener Rathaus wurden errichtet. Ein Meilenstein war der Bau der Moselbrücke, die von nun an Traben und Trarbach miteinander verband.

Am Trabener Brückenkopf entstand das riesige Kaiserliche Postgebäude und das Lorettahaus mit seinen Erkerchen und Türmchen. Ein wunderbares Ensemble im Stil des romantischen Historismus, dessen Figuren auf der Fassade Geschichten erzählen.

Kaiserliches Postamt, Traben-Trarbach

Das Kaiserliche Postamt in Traben-Trarbach

Zeitgleich wurden Keller gemauert oder in den Schieferfelsen gehauen. Denn um all die Fässer lagern zu können, brauchten die Händler immer mehr Platz. Dabei entstand unterirdisch ein kilometerlanges Labyrinth, wie man es nirgendwo sonst an der Mosel findet.

Traben-Trarbachs Unterwelt

Etwa 15.000 Fuder, also 15 Millionen Liter Wein, lagen 1899 unter dem Pflaster der Stadt. Untergebracht in teilweise mehrstöckigen und über 100 Meter langen Kellergewölben. Einige davon verwandeln sich heute in der Adventszeit in den Mosel-Wein-Nacht-Markt. Wer im Sommer wissen möchte, wie es in der sogenannten „Vinotropolis” aussieht, meldet sich bei der Tourist-Info für eine Führung an. Der „Ausflug in die Traben-Trarbacher Unterwelt” leitet Interessierte 90 Minuten lang durch drei dieser Keller. 

Traben-Traben, Weihnachtsmarkt

Der unterirdische Weihnachtsmarkt im Keller.

Oberirdisch investierten die Weinbarone und Hoteliers in repräsentative Villen. Goldmark hatten sie ja genug, sogar für Kunst am Bau. Und Platz war nach zwei verheerenden Stadt-Bränden reichlich vorhanden: 1857 ging erst die eine, 1879 die andere Moselseite in Flammen auf. Dabei verlor die Stadt beinahe die gesamte mittelalterliche Bausubstanz. 

Bruno Möhring und Jugendstil

Wer damals auf sich hielt, der heuerte den Baumeister Bruno Möhring an, einer der kreativsten Jugendstil-Architekten Deutschlands. Der Mann, dessen Handschrift Traben-Trarbach bis heute deutlich prägt, hat zum Beispiel den Berliner Bülowbogen entworfen. Er war der geistige Schöpfer der Rheinbrücke in Bonn und der Dortmunder Maschinenhalle Zeche Zollern II/IV. 1900 kümmerte er sich auf der Weltausstellung in Paris um die künstlerische Gestaltung der Ausstellungsräume deutscher Weinproduzenten und eines Weinrestaurants.

In Traben-Trarbach entstanden insgesamt acht Gebäude nach Entwürfen des prominenten Berliners – und jedes davon ist ein Schmuckstück für sich. Außerdem schuf der Architekt eine Grabplatte für den Weinhändler Oskar Haussmann auf dem Friedhof in Traben.

Mosel, Jugendstil, Brückentor, Trarbach

Brückentor von Bruno Möhring

Doch was führte den prominenten Baumeister überhaupt in die Provinz? Es war der Wettbewerb um den Bau der wichtigen Brücke, die Traben mit Trarbach miteinander verbinden sollten. Möhring, der damals als freier Architekt der Gutehoffnungshütte Oberhausen tätig war, hatte das Rennen gemacht und 1899 eine Brücke mit eisernem Bogen über die Mosel gespannt.

Es sollte die allererste Straßenbrücke zwischen Bernkastel und Koblenz sein. Besonders für die Trarbacher Winzer war der Anschluss an den Bahnhof auf der anderen Moselseite wichtig. Um die Stabilität zu prüfen, rollten die Traben-Trarbacher nach der Fertigstellung fast 200 mit Wasser gefüllte Weinfässer auf den Übergang.

Zur Krönung gönnte man sich ein prächtiges Brückentor, vom Meister verziert mit Jugendstil-Elementen. Danach regnete es Aufträge für den detailverliebten Architekten.

Villa Huesgen, Jugendstil, Traben

Die Villa Huesgen in Traben

Villa Huesgen mit Weingarten

Eine Führung zu den schönsten Jugendstil-Gebäuden kann man über die Tourist-Information buchen. Die Tour führt etwa zur Villa Huesgen – ein Gesamtkunstwerk feinbürgerlicher Grandezza, eingebettet in einen herrschaftlichen Garten. Mit Löwenmasken als Wasserspeier und buntverglasten Bogenfenstern, auch der steile Mansardengiebel ist typisch für den Jugendstil. Es gab damals ein eigenes Treppenhaus fürs Personal und einen Theatersaal unterm Dach.

Über eine Million Goldmark soll das Anwesen im Jahr 1904 gekostet haben. Macht heute um neun Millionen Euro. Etwa so reich wie Krösus soll Bauherr und Weingutbesitzer Adolph Huesgen gewesen sein. „Mosel-Bismarck” wurde er genannt.

Im Sommer können Ausflügler die Weine des Hauses im Weingarten am Pavillon genießen.

Villa Breucker, Jugendstil, Traben-Trarbach

Die Villa Breucker, später Nollen

Das denkmalgeschützte Anwesen der Weinhändler-Familie Huesgen liegt etwas zurückgesetzt vom Ufer, hinter Bäumen versteckt. Direkt an der Moselpromenade zieht die ein Jahr später fertiggestellte Villa des Weinhändlers Gustav Breucker bis heute alle Blicke auf sich. Ein umwerfend schöner kubisch-geometrischer Bau, dessen türkisfarbenes Dach schon von weitem leuchtet. Bei der Planung bediente sich der Architekt fernöstlicher Motive in Kombination mit Jugendstilelementen. 1957 kaufte die Familie Nollen das Haus samt geräumigen Keller.

Jugendstil im Hotel Bellevue

Baumeister Bruno Möhring war es auch, der mit dem „Clauss-Feist” im Jahr 1903 das wohl schönste Jugendstilhotel des ganzen Landes erschuf. Es war sein erster Entwurf für ein privates Gebäude in Traben-Trarbach. Man beachte den Erker, dessen Turm in Form einer Sektflasche gestaltet wurde. Sogar Korken und Drahtverschluss sind erkennbar. Die Balkone links und rechts stellen die passenden Sektkelche dar.

Der Neubau bot seinen Gästen neben elegantem Interieur sogar elektrisches Licht. Das war im Deutschen Kaiserreich noch lange nicht selbstverständlich. Als das neuerbaute Kraftwerk am 15. Januar 1890 in Betrieb genommen wurde, gehörte Traben-Trarbach neben Berlin und Bad Reichenhall zu den wenigen Städten, die ihre Straßen und Gebäude mit dem vor Ort erzeugten Strom ins Licht elektrischer Laternen und Lampen tauchte. Damit auch jeder das Wunderwerk der Technik sah, verzichtete man auf Lampenschirme, um die Glühbirnen nicht zu verdecken.

Traben-Trarbach, Jugenstil, Bellevue, Fenster

Fenster im Jugenstilhotel Bellevue

Hier lebt die Belle Époque

In 1A-Lage am Fluss avancierte das Juwel zum ersten Haus am Platz. Baron von Thyssen gehörte zu den Gästen. Graf von Anhalt und der „Rote Baron“ Freiherr von Richthofen gaben sich die Jugendstil-Klinke in die Hand. Später kam Heinz Rühmann hinzu, der in Beilstein vor der Kamera stand.

Dass sich der Besuch von Jugendstil-Fans noch heute lohnt, grenzt an ein Wunder. Denn die feine Herberge überstand nicht nur unbeschadet zwei Kriege. Sondern ebenso jene Zeit, in der man Jugendstil-Design als Kitsch auf den Sperrmüll verbannte.

Jugendstilhotel Bellevue, Traben

Das Jugendstilhotel Bellevue mit hauseigenem Amphicar

Zwar wurde aus dem mondänen Clauss Feist das elegante Romantik Jugendstilhotel Bellevue mit Restaurant. Doch an der Rezeption betreten Gäste eine Zeitmaschine: Die Jahre rattern rückwärts, bis die Anzeige auf 1903 steht. Man wähnt sich in der großbürgerlichen Welt eines Thomas Mann-Romans – denn hier ist immer noch alles Belle Époque.

Von den Spiegeln und Verzierungen an den Wänden über handgemalte Stofftapeten und verschnörkelte Uhren bis hin zu den Buntglasfenstern. Auch Lampen und Treppengeländer stammen aus Möhrings Feder. 

Buddha-Museum im Jugendstil

Schräg gegenüber, auf der Trarbacher Seite, erhebt sich die ehemalige Weinkellerei Julius Kayser fast wie eine Burg. Ein Hingucker sind die Türme mit Dachgartenpavillions. Noch bis Mitte der 1980er-Jahre wurde dort Wein abgefüllt und gelagert. Dann kam das Aus für das einst so erfolgreiche Unternehmen.

Heute ist in dem Jugendstil-Schmuckstück von 1907 das Buddha-Museum untergebracht. Doch Deko-Elemente in Sachen Wein, zum Beispiel Bacchus-Köpfe auf Hähnen, blieben erhalten.

 

Buddha-Museum, Traben-Trarbach

Feinster Jugendstil: Das heutige Buddha-Museum

Auch abseits des Stadtzentrums findet sich noch heute ein Stück besterhaltene Belle Époque. Immerhin hat Traben-Trarbach als einziger Moselort eine Thermalquelle vorzuweisen. Schon vor über 100 Jahren kamen die Menschen zum Kuren nach Bad Wildstein ins Kautenbachtal, um das heilende Wasser zu nutzen. Ein weiteres spannendes Kapitel der Stadt (zum WeiterlesenDas gelbe Wunder von Trarbach» ).

Allerdings hat sich das von Bruno Möhring entworfenen Kurhaus Bad Wildstein vor gut zwei Jahrzehnten in das „Ayuveda Parkschlösschen” verwandelt. Und was längst nicht jeder weiß: Mit einem Winzerhaus und dem Weingut Langguth, hat der Berliner Architekt auch in Lösnich und Enkirch architektonische Schätze hinterlassen.

Möhrings eiserne Bogenbrücke wurde zwar in den letzten Kriegstagen 1945 gesprengt. Aber das von ihm entworfene Brückentor gehört noch heute zu den prominentesten Sehenswürdigkeiten in Traben-Trarbach. Darin ist heute eine Dauer-Ausstellung über das Werk von Bruno Möhring untergebracht.

 

Jugendstil erleben: Infos für den Besuch

Führungen in die Traben-Trarbacher Unterwelt: Gezeigt werden jeweils drei Weinkeller. Dazu gibt es Geschichte und Geschichten. Und natürlich ein Glas Wein. Hunden sind bei der Führung nicht erlaubt. Anmeldung erforderlich.
Info: Tourist-Information, Am Bahnhof 5, 56841 Traben-Trarbach, www.traben-trarbach.de

Tipp: Infos zu den Kellern gibt es auch mittels App außerhalb dieser Führung. Dafür wurden Schilder mit QR-Codes an jedem Kellergebäude angebracht. Das Smartphone erfasst den jeweiligen Standort und erstellt einen individuellen Kellerrundgang.

Jugendstil-Führung: Der Weinarchitektonische Spaziergang führt zu den schönsten Jugendstilgebäuden. Zwischen Ostern und Ende Oktober, an jedem ersten und dritten Sonntag im Monat um 11 Uhr Uhr. Treffpunkt ist an der Tourist-Information in Traben-Trarbach.

Ausstellung der Casino-Gesellschaft: „Der Moselweinhandel 1860 – 1918 und seine Bedeutung für Traben-Trarbach”. Hoch interessant, ohne Bling Bling. Denn mit historischen Fotos und Dokumenten gibt die Ausstellung seltene Einblicke in die goldenen Epoche der kleinen Stadt. Interessant für alle, die mehr über die Hintergründe des enormen Wohlstands wissen wollen. Denn im Mittelpunkt stehen die Weingutsbesitzer und Händler, auf deren Namen man in Traben-Trarbach immer wieder trifft.
Info: Geöffnet samstags von 10-12 Uhr und 15-18 Uhr. Der Eintritt ist frei. Moselstraße Ecke Augustastraße, 56841 Traben-Trarbach.